Andreas Grün

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Rudolf Kelterborn

1931–2021

Musik für Violine und Gitarre • Six Short Pieces

Immer wieder taucht in den kammermusikalischen Werken des bedeutenden Schweizer Komponisten Rudolf Kelterborn die Gitarre auf, bereits 1963 in der viersätzigen, noch von der Dodekaphonie ausgehenden Musik für Violine und Gitarre, 1986 in den Fünf Monologen für Gitarre solo, dann 1994 in den Drei Metamorphosen für Violine, Gitarre und Kontrabass und schließlich 1997 im Ensemble-Buch II für zehn Instrumente, darunter gleich zwei Gitarren.
Kelterborns Schreib- und Denkweise lässt sich exemplarisch an den Six Short Pieces für Flöte, Viola und Gitarre aus dem Jahre 1984 aufzeigen.
I: sehr gleichmäßig – ein Bewegungs- und Klangraster („Uhrwerk“), dessen Statik durch lange Flötentöne (liberamente) unterbrochen, gebrochen wird, das Stück „öffnet“ sich, verbindet Motorik (misurato) und quasi freie Haltetöne.
II: von der Gitarre begleitet beginnt die Bratsche (poco f non troppo, molto espressivo) einen Dialog mit der Flöte, die die Kantilene der Bratsche umspielt, verziert, imitiert, sich darum herumrankt.
Wieder endet der Satz – wie schon der erste – in einem formelhaften Element der Gitarre (eine Tonwiederholung, im dritten wird es dann ein Pendeln um eine kleine Terz sein, dieselbe Terz mit der im ersten Satz die Flöte die „Spieluhr“ anhielt). Auch den Vierten beschließt die Gitarre mit einem solchen Pendeln und im letzten Satz besteht der Gitarrenpart praktisch nur noch aus einer Ansammlung aller vorhergegangenen Schlussfloskeln …
… so (oder ähnlich) könnte der musikalische Ablauf der Six Short Pieces weiter leicht nacherzählt werden. Leicht, weil jedes Stück ganz klar einer musikalischen Idee folgt, die auch ohne tiefschürfende Analyse zu verstehen ist.
Ich werde aber den Verdacht nicht los, dass hinter dem betont unterkühlten Understatement schon des Titels und der geradezu „klassisch“ klaren Gestalt jedes dieser sechs Charakterstücke mehr steckt als nur selbstgenügsames Gefallen am Erfinden gut gemachter („sinnfälliger“) Musik. Eigentlich habe ich es schon ganz nebenbei verraten in dem Wort „Charakterstücke“: die Stücke haben Charakter! Zuweilen vielleicht klischeehaften (III: „ein geisterhaftes Presto“, so Kelterborns Programmhefttext), aber nicht erst bei den Mahler-Anklängen des sechsten Satzes spürt man, dass hier ein Stück „Welttheater“ miniaturisiert wurde. „Ein heftiger Ausbruch“, so Kelterborns Programmhefttext zu V, ist für mein Empfinden eine Untertreibung angesichts der Wucht der schrillen Schreie, mit denen dieses Stück auf das vierte reagiert, wo – wie mir Kelterborn im persönlichen Gespräch sagte (auf meine Anmerkung hin, dass es schier unmöglich sei, die Gitarrenstimme schön kantabel zu spielen, da der Versuch, gegen den zwar leisen, aber dichten Klang von Flöte und Bratsche anzukämpfen, unweigerlich zum Forcieren führe) – „jemand mit zugedrückter Kehle zu singen versucht“.

Andreas Grün

 


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