Andreas Grün

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Stephan Marc Schneider

*1970

… je suis encore un chêne … • Kammermusik

Der am 17.5.1970 in Karlsruhe geborene Schneider durchlief zunächst an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe eine Ausbildung zum Musiklehrer und studierte anschließend Komposition in Mannheim bei Ulrich Leyendecker. Er erhielt mehrere Preise und Auszeichnungen, so wurde seine Oper Das Kalkwerk nach Thomas Bernhard beim Opernwettbewerb „Johann-Joseph-Fux-Musikpreis“ im Rahmen des Steirischen Herbstes ausgezeichnet. – 2003 kam seine im Auftrag des Staatstheaters Vorpommern entstandene Ballettmusik zu García Lorcas Bernarda Albas Haus zur Uraufführung.
Der Titel seines 1995 geschriebenen Gitarrenstückes … je suis encore un chêne … („ich bin noch immer eine Eiche“) entstammt dem Gedicht Le chêne et le roseau von Jean Anouilh (1961), das sich auf La Fontaines Fabel bezieht, wo eine Eiche und ein Schilfrohr darum streiten, wer von beiden der Stärkere sei. Die Eiche beansprucht diesen Titel natürlich für sich, aber nach einem Sturm liegt sie entwurzelt da, das biegsame Schilfrohr dagegen überlebt. Während La Fontaines damit verbundene Botschaft recht eindeutig ist, ist es bei Anouilh die sterbende Eiche, die das letzte Wort hat und dem triumphierenden Schilfrohr in trotzigem, ungebeugtem Stolz entgegenhält: „Aber ich bin immer noch eine Eiche!“
„Mit Stolz und Schmerz“ (so die Spielanweisung) beginnt denn auch das Werk Schneiders, und nicht zuletzt beruht der Erfolg, den das Stück in Konzerten immer wieder hat, auf der Unmittelbarkeit seiner Ausdruckskraft. Es wäre freilich zu kurz gegriffen, das Stück allein auf seine emotionalen Qualitäten zu reduzieren und die Kunstfertigkeit unbeachtet zu lassen, die im Hintergrund Struktur und Form des Stückes mitgestaltet. So greifen beispielsweise zahlensymbolische Elemente überall ordnend ein, wobei die Zahlen 5 und 7 (siehe Geburtsdatum) eine dominierende Rolle spielen. Schon die Metronomangabe schreibt Viertel gleich 57 vor, in Takt 5 erklingt nach einer anfänglichen Dreiton-Konstellation ein erster neuer Ton (es – S?), in Takt 7 kommt die erste Generalpause, in Takt 17 geht der erste Abschnitt zu Ende, der zweite endet nach 35 (=5x7) Takten, das ganze Stück besteht aus 57 Takten usw. – So chiffriert der Komponist, nur für den Eingeweihten, seine persönliche Betroffenheit und wie sehr er dieses Stück als persönliche, biografische Aussage versteht (vergleichbar mit der Art, wie etwa Bach den Choral Vor Deinen Thron tret ich hiermit durch zahlensymbolisches Zitieren seines Namens zu einem persönlichen Bekenntnis macht: „Vor Deinen Thron tret ich, J.S.Bach, hiermit“) – „ich, Stephan M. Schneider, bin zwar vom Sturm entwurzelt, aber …“
Interessant ist es auch, die Entfaltung des Tonmaterials zu beobachten, die bewusst konträr zu sonst in neueren Gitarrenwerken oft vorzufindenden Mustern verläuft: Die leeren Saiten der Gitarre werden anfangs vollständig vermieden, das eröffnende B ist überhaupt der ihrem e-Moll fernste Ton. Nur allmählich erweitert sich der Klangraum über cis, c, es, f, fis, as. Nachdem diese 7 Töne etabliert sind, erscheint der erste der 5 Leersaitentöne, das in Takt 12 (=5+7) zum ersten Mal erklingende h, dem Ohr zunächst als phrygische Sekunde ces über dem zentralen b (das sich inzwischen de facto als Grundton eines verschleierten b-Moll etabliert hat). Erst im zweiten Teil des Stückes kommen a als Untersekunde von b und dann erst immer massiver e hinzu, bis sich am Ende dieses zweiten Abschnittes, in dem Moment, wo die bis dahin streng durchgehaltene Einteilung in abwechselnde 5/4- und 7/4-Takte einem „banalen“ 4/4-Takt weicht, zu diesem e auch ein g gesellt, dergestalt „endlich“ einen e-Moll-Akkord assoziierend, der nun freilich eine Gegenwelt zum vorherrschenden b-Moll darstellt …
Auch Schneiders kurz nach dem Solowerk entstandene Kammermusik für Sopran, Flöte, Gitarre und Schlagzeug bezeugt, wie wichtig dem Komponisten neben unmittelbarer Wirkung zahlenbezogene Strukturierung und bewusste Disposition des Tonvorrates sind. Der Komponist schreibt über diese Bruchstücke nach einem Gedicht von Michael Bullock (so der Untertitel):
„Der Text des Gedichtes River in Reverse von Michael Bullock inspirierte mich nicht nur zu direkten musikalischen Ereignissen, sondern auch zu Teilen des formalen Aufbaus und der Materialwahl, die ich aus der Gedichtstruktur in die Komposition übertrug. – Ein Beispiel wäre die zweite Strophe des Gedichtes, in deren Zeilen sich abwechselnd mal acht, mal sieben Wörter befinden. Der Mittelteil der Komposition weist insgesamt 56 Takte (8x7) auf, die in einem 7/8-Takt stehen und obendrein noch bei Tempo 78 auszuführen sind. In diesem Teil wechselt der Gitarrist von der E-Gitarre zur klassischen Gitarre. Während in den ersten 32 Takten die Töne der Skordatur der E-Gitarre das Tonmaterial prägen, sind für die folgenden 24 Takte die Töne der gewöhnlichen Gitarrenstimmung wichtig.“

Andreas Grün

Notenausgabe

… je suis encore un chêne …
hrsg. v. Andreas Grün, Sikorski-Verlag, H.S. 8518

Pressestimmen

„Je suis encore un chêne“ verrät Empfindsamkeit für ausdrucksstarke Melodik.

Badische Zeitung

 


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