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1997–99
1992–2002
Zurück zur Linie (nach all den punktuellen Abstraktionen, deren Effekt genau das Gegenteil ihrer exaltierten Gestik war: Nivellierung, Belanglosigkeit …): wieder ganz von vorn anfangen bei Sekunden, (melodisch) Gehen lernen, vorsichtig auf und ab … „Für Elise“ in Zeitlupe, die „Vogelhochzeit“ zusammengequetscht …
Die Stücke III und VI des zweiten Buches der Hölderlin-
Die verschiedenen Bücher sind nicht einfach Uminstrumentierungen,
sondern selbständige, sozusagen „parallel“ existierende, mögliche
Formungen der Gedanken und Materialien.
Andreas Grün
Lass uns vergessen, dass es eine Zeit gibt, und zähle die Lebenstage nicht!
Was sind Jahrhunderte gegen den Augenblick, wo zwei Wesen so sich ahnen und nahn?
(Friedrich Hölderlin, Hyperion)
Neben dem grotesken, ironischen Unterton des Titels springen bei der Betrachtung
der Partitur die Tempobezeichnungen der einzelnen Sätze ins Auge. Als Spielvorschriften
findet man in dem sechssätzigen Zyklus durchweg Bezeichnungen wie „langsam“,
„sehr langsam“ oder „ruhig“.
Mit diesen Angaben lässt sich auch der Gestus des Werkes am ehesten beschreiben:
eine ruhige, langsame Lamentomelodik durchzieht das sechzehnminütige Stück
und schafft sich eine eigene, subtile Klangwelt.
Ausgehend von der in Flageolett-
In den übrigen Sätzen werden diese Elemente (Wiederholung, Lamentomotivik)
durch das Verwenden von kontrapunktischen Strukturen komplettiert – ein weiteres
zentrales Merkmal der Komposition. Immer in seiner Sprache bleibend, verzichtet
Andreas Grün vollständig auf in der Neuen Musik gängige Klischees
und Eigenheiten. Keine groben Effekte; die Gitarre zurückhaltend, auf das
Wesentliche konzentriert.
Aber dennoch, oder gerade deswegen, werden dem Gitarristen höchste technische
und interpretatorische Fertigkeiten abverlangt.
Dem Paradoxon des Titels auf der Spur stelle ich dem einführenden Zitat kommentarlos
(aber frei übersetzt) ein zweites gegenüber – sie sprechen für
sich selbst:
Mille regrets de vous abandonner Et d’élonger votre face amoureuse J’ai si grand deuil et peine douloreuse Qu’on me verra brief mes jours deffiner |
Tausendfaches Bedauern dich zu verlassen Und sich von deinem geliebten Angesicht zu entfernen Ich trage große Trauer und tiefen Schmerz So dass man bald schon sieht, dass meine Tage endgültig gezählt sind |
(Mille regrets, vertont von Josquin Desprez)
Stephan Marc Schneider
Die Stücke Andreas Grüns sind weder Oden oder Hymnen an Musen der
griechischen Antike bzw. die Natur, noch hängen ihnen politisch revolutionäre
Züge an.
„Beladung des Wortes, weniger Worte, mit einer ungeheuren Ansammlung
schöpferischer Spannung, eigentlich mehr ein Ergreifen von Worten aus Spannung“,
schrieb Gottfried Benn über die Gedichte Hölderlins, eine Darstellung,
nach der ich die Hölderlin-
Auf dieser Vorstellung von Ladung und Entladung kleinster musikalischer Spannungen
beruht meine Interpretation der Hölderlin-
Es gibt ein Vergessen alles Daseins,
ein Verstummen unseres Wesens,
wo uns ist, als hätten wir alles gefunden.
(Hölderlin, Hyperion, erstes Buch)
Reinhard Klatt
Dauern: 1. Buch ca. 16 Minuten; 2. Buch ca. 20 Minuten
Uraufführungen: 1. Buch 28.3.1999, Tel Aviv (Andreas Grün); 2. Buch 25.1.2003, Karlsruhe (Daniel N. Seel)
Notenbeispiele:
1. Buch
(II • V • VI, S.1)
2. Buch
(III • VI • VII, S.1)
vollständige Partituren:
1. Buch
2. Buch
(PDF)
anhören:
1. Buch
I
• II
• III
• IV
• V
• VI
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