Andreas Grün

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Charles Baron d’Aichelbourg

1782–1817

Werke für Mandoline und Gitarre

Karl Stefan Freiherr von und zu Aichelburg wurde am 22.2.1782 in Wien geboren. Sein Vater Joseph entstammte dem kroatischen Zweig der Aichelburgschen Familie, die Mutter Regina war eine geborene Freiin Wetzlar von Plankenstern. Beide Familien verkehrten mit Intellektuellen und Künstlern, so logierte beispielsweise im Hause von Reginas Bruder Raimund 1782–83 kein geringerer als W.A. Mozart. – 1801 begann der junge Karl eine militärische Laufbahn, in der er zwei französische Kriege mitmachte, für besondere Tapferkeit ausgezeichnet wurde und drei Jahre im Generalstab diente. Im September 1812 quittierte er den Militärdienst, zweieinhalb Jahre später heiratete er die aus einer alten polnischen Familie stammende Anna von Woroniecka. – Karls Lebenswandel war wohl nicht der solideste: während seiner Militärzeit hatte er eine uneheliche Beziehung mit einer Schauspielerin, aus der mehrere Kinder hervorgegangen waren; und schließlich sollen seine außerordentlich großen Verluste an der Börse zu einem „Nervenfieber“ und damit seinem frühen Tod am 6.12.1817 geführt haben.
Karl alias Charles Baron d’Aichelbourg war offensichtlich ein begabter und geschickter Mandolinen- und Gitarrenspieler. Er stand in einer noch nicht weiter erforschten Beziehung zu Mauro Giuliani, der ihm seine etwa um 1815 herum geschriebene Grande Serenade für Flöte und Gitarre, op.82, widmete. – Die „Chemische Druckerey“ des Sigmund Anton Steiner, einer der bedeutendsten Musikverlage im damaligen Wien, veröffentlichte 1812 oder 1813 eine Serie von vier Werken unter dem Namen Charles Baron d’Aichelbourg, alle für Mandoline oder Violine und Gitarre (die französische Schreibweise des Familiennamens, die sich auch bei Giulianis Widmung findet, folgt der Tradition des kroatischen Aichelburg-Zweiges, weswegen wir sie für Aichelburg als Musiker beibehalten wollen): Pot-pourri, op.1; Variations, op.2; Notturno, op.3 und Variations sur la thême favorit de l’Opera Dite: Schweizerfamilie, op.4.
Obwohl d’Aichelbourg als Musiker nur „Dilettant“ war (ein Begriff, der ursprünglich ja überhaupt nicht negativ belegt war) und seine gefälligen Werke im Großen und Ganzen den Konventionen seiner Zeit gehorchen, verdienen einige Aspekte seines Schaffens unsere Aufmerksamkeit und machen seine wiederentdeckten Stücke zu wichtigen Bereicherungen des Mandolinenrepertoires der Wiener Klassik.
Abgesehen von der schon für sich allein bedeutenden Tatsache, dass die Kompositionen d’Aichelbourgs das recht schmale erhaltene Repertoire von Duos für Mandoline und Gitarre aus dem beginnenden 19. Jahrhundert um bislang vollkommen unbekannte Werke erweitern, sind sie interessant auch wegen ihrer Faktur. Verglichen etwa mit den Duos von Leonhard von Call fällt auf, dass der Mandoline bereits ausgedehntere akkordische Passagen, Terzfolgen und auch chromatische Oktaven zugemutet werden. Die Gitarre ist aus der belanglosen Begleiterrolle, die sie noch bei Bartolomeo Bortolazzi spielte, unzweifelhaft herausgewachsen: im Notturno trägt sie beispielsweise gleich das erste Thema vor und beteiligt sich auch im weiteren Verlauf mit relativ vielfältigen Begleitfiguren an der Schaffung musikalischer Charaktere. In der vierten Variation des op.2 hat sie nicht nur Akkorde in der 14. (!) Lage zu spielen, sondern geradezu „moderne“ Mixturklänge. Dazu kommen rhythmische Raffinessen, wie sie in anderen Gitarrenbegleitungen der Zeit selten zu finden sind.
D’Aichelbourgs Variations op.4 waren übrigens beileibe nicht das einzige Werk, das Themen aus der Schweizerfamilie – einer harmlosen romantischen Liebesgeschichte – verarbeitet hat. Bald nach deren Premiere (1809) setzte eine Flut von Arrangements ein, gefolgt von zahlreichen Variationswerken über die beliebtesten Melodien dieses Singspiels, mit dem der ohnehin schon erfolgreiche Komponist und Kapellmeister des Wiener Hoftheaters Joseph Weigl (1766–1846) endgültig Weltruhm erlangt hatte. Allerdings machen wir uns heute ein falsches Bild von diesem Bühnenwerk, wenn wir es nur nach seinen populär gewordenen Melodien beurteilen: Weigl nutzte zwar mit der Wahl des Sujets geschickt die damalige modische Begeisterung seiner Landsleute für die Schweiz aus, verwendet alpenländische Motivik aber nicht durchgängig, sondern – innerhalb eines ansonsten konventionell klassisch-frühromantischen Stiles – gezielt dort, wo es um inhaltliche Charakterisierungen und Bezüge geht. Ein Paradebeispiel dafür ist gerade die siebte Nummer, Emmelines Cavatine, aus der d’Aichelbourg das Thema für seine Variationen entnommen hat.

Andreas Grün


Für die Informationen über die Lebensdaten und -umstände des Karl Stefan Freiherr von und zu Aichelburg bin ich dem Wiener Historiker Dr. Wladimir Aichelburg zu Dank verpflichtet.

Literatur

Andreas Grün: Charles Baron d’Aichelbourg und seine vier Duos für Mandoline und Gitarre  (PDF)
veröffentlicht in: Concertino 2/2007, S.82–90

Andreas Grün: Il Barone Charles d’Aichelbourg e i suoi quattro duetti per mandolino e chitarra
in il Fronimo Nr.135, 2006, S.22–34

Notenausgaben (erste Wiederveröffentlichungen)

Variationen über ein eigenes Thema
für Mandoline und Gitarre, hrsg. v. Andreas Grün, Musikverlag Vogt & Fritz, V&F 3026

Notturno
für Mandoline und Gitarre, hrsg. v. Andreas Grün, Musikverlag Vogt & Fritz, V&F 3025

Variationen über ein beliebtes Thema aus der Oper „Die Schweizerfamilie“
für Mandoline und Gitarre, hrsg. v. Andreas Grün, Musikverlag Vogt & Fritz, V&F 3020
(Errata – leider haben sich drei Druckfehler in die Gitarrenstimme der ersten Auflage der Neuausgabe eingeschlichen:
Thema, T.8, 3. Viertel, Bass muss Gis statt E lauten; Variation 4, T.10, erster Basston E statt A, T.11, 3. Achtel, dis¹ statt d¹.)

 


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